Südthüringer Zeitung, Artikel von Annett Recknagel
Auf Schloss Todenwarth ging der 29. Thüringer Orgelsommer in seine nächste Runde. Hornist Stephan Katte aus Weimar und Tom Anschütz an der Open-Air-Orgel begeisterten das Publikum.
Todenwarth/Fambach
Trolle auf Schloss Todenwarth? Gehören diese Fabelwesen der nordischen Mythologie nicht nach Dänemark und Schweden? Während des Konzertes im Rahmen des 29. Thüringer Orgelsommers machten die kleinen Männchen Station im Thüringischen. Die mehr als 150 Zuhörer konnten sich die Trolle bei der entsprechenden Orgelmusik zumindest sehr gut vorstellen. „Da laufen sie“, flüsterte eine Zuhörerin in der zweiten Reihe und damit behielt Organist Tom Anschütz Recht. In zweierlei Hinsicht: Zum einen meinte er, die Klavierkomposition „Trolltog“ von Eduard Grieg höre sich auf der Orgel viel besser an. Zum anderen könnte das Publikum schon bei den ersten Klängen gedanklich Zwerge marschieren sehen. Der Heimatverbundenheit wegen hatte Anschütz aus den Trollen Zwerge gemacht – Grüße nach Trusetal.
Dass dieses und alle anderen Stücke, die der 25-Jährige auf der Open-Air-Orgel zum Erklingen brachte, beim Publikum Bilder hervorriefen, lag am perfekten Spiel des jungen Mannes aus Waltershausen. Dabei hatte er, wie er nach dem Konzert verriet, nicht einmal die richtigen Schuhe an. Trotzdem ließ er die Zwerge marschieren. In Griegs Stück gab es eine Stelle, an der ausschließlich Anschütz’ Füße agierten. Hochkonzentriert saß er an der Orgel, man spürte das Marschieren. Zwischendurch verschnauften die Männchen, um danach mit neuer Kraft wieder loszulegen. Was für die Zuhörer ein Genuss war, bedeutete für Tom Anschütz Arbeit. Seine Augen konzentrierten sich auf die Noten, die Hände huschten über die Tastatur und mit den Füßen spazierte Tom Anschütz über die hölzernen Pedale, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres.
„Von Bach bis Bolero“ war das Freiluftkonzert überschrieben. Und Tom Anschütz musizierte nicht allein. Stephan Katte aus Weimar hatte Horn und Thüringerwald-Horn mitgebracht. Doch bevor das Musikerlebnis beginnen konnte, hieß es Stühle schleppen. Hausherrin Antje Halbig hatte nach 100 aufgestellten Sitzgelegenheiten im Garten die Übersicht verloren. Kustos Jörg Müller und Jochen Halbig transportierten fünf Minuten vor Konzertbeginn die guten Stühle aus dem Saal vor die Tür. Letztlich fand jeder einen Platz. Um die 150 Gäste mögen es gewesen sein. Halbig sprach von so vielen wie nie zuvor.
Zum vierten Mal hatte Familie Halbig zum Thüringer Orgelsommer in den Park von Schloss Todenwarth eingeladen. Unter dem Schutz der großen Linde war der Lkw mit der fest installierten, elektrisch gesteuerten Pfeifenorgel geparkt. Allein das war eine Augenweide. Bedient wurden am Ende alle Sinne. Die Stadt Leipzig war der rote Faden des Konzertes. Komponisten oder Werke standen in Zusammenhang mit der sächsischen Stadt. Was mit Händels Wassermusik begann, war eine Klangreise. Orgel und Thüringer Waldhorn harmonierten ebenso wie Horn und Orgel. Die Musiker hatten Stücke ausgewählt, die in die Natur passten und bei denen sich ein Wohlgefühl einstellte. Andächtig wurde es bei einem Gebet, das von den Musikern feinfühlig beinahe dahingehaucht wurde. Mit einem „Bolero“ ging es fröhlich weiter. Tom Anschütz brachte die Orgel in ihrer vollen Schönheit zum Erklingen. Mal laut und aufbrausend, mal leise und sanftmütig – es war eine Wohltat, dem jungen Mann zuzuhören und zuzusehen.
Auch den Pilgerchor aus dem „Tannhäuser“ von Richard Wagner brachte Anschütz zu Gehör. Mit seinem Kollegen, Stephan Katte, harmonierte er blind.
Sehr schön auch eine Pastorale für Horn und Orgel des schwedischen Komponisten August Körling. In John Arthur Meales Stück „Final alla Minuet“ war eine sehr bekannte Melodie herauszuhören. Anschütz spielte sie kurz an. Schulterzucken und Kopfschütteln im Publikum. „Die Auflösung gibt es nach dem Stück“, sagte Anschütz und legte los. Wieder nahm er das Publikum mit, gefiel durch ein perfektes Spiel, fast vergaß man das Rätsel.
Die Melodie war ein Klingelton. Er gehörte zu dem veralteten Handy Nokia 310. Dieser Fakt entschuldigte das kurz auflachende Publikum natürlich. Ohne Zugabe kamen die beiden Musiker nicht davon. Und danach gab es noch einmal einen riesigen Applaus. Wer wollte, konnte sich die fahrbare Orgel nach dem Konzert aus nächster Nähe anschauen.